Wortlos sein – und doch drängt es einen, etwas zu sagen – aus der Ferne nach Deutschland zu blicken und auf den Zustand der katholischen Kirche; meiner Kirche, die mir so oft das Leben schwer gemacht hat und deren Schizophrenie momentan Schlagzeilen macht.
Da ist der scheinbar nicht zu Ende gehen wollende Kindesmissbrauch und seine Aufklärung – der andauernde Wortschwall an Entschuldigungen, Erklärungen, persönliche Erklärungen, Akten, Studien – all das überdeckt oft, was eigentlich notwendig wäre:
Wirklich Verantwortung übernehmen und prophetische Zeichen, dass sich Strukturen wirklich ändern sollen. Und wer sollte prophetisch handeln und dazu kann auch ein Rücktritt gehören, neben den Kirchenvertretern in leitenden Funktionen, die Schuld auf sich geladen haben?
Weltkirchlich gesehen sind tragende Säulen des jetzigen Systems einer Weltkirche, die nicht nur in Deutschland Kindesmissbrauch jahrelang – bewusst oder unbewusst – gedeckt und damit gefördert hat, Bischöfe im Kardinalsrang. Und hier geht es nicht mehr nur um persönliche Schuld, sondern um die Verantwortung für systemisches Versagen mit der Folge von Leid und Elend.
Ich bin mir bewusst, dass das Kirchenrecht in manchen Positionen dazu bestimmte Regeln hat – aber die Verantwortung nach Rom abgeben geht gar nicht: Unsere Kirche hat eine klare Auffassung zu der Frage, ob und wie man(n) seinem Gewissen folgen muss.
Mich bewegt natürlich auch die unselige Geschichte mit dem emeritierten Papst – egal wer da bei den Stellungnahmen seine Hand geführt haben mag – auch hier sind Zeichen notwendig: Die Aufgabe der Rolle des “Emeritus” und der sichtbare Wiedereintritt in die Reihen des Kardinalskollegiums würden deutlich machen, dass es ernst ist mit Entschuldigungen und Schluss mit unzureichenden Erklärungen.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass hier keiner auf der Straße steht, wenn zurückgetreten wird; ganz anders ist die Gefahr auf einem anderen Gebiet, das Deutschland bewegt; und nicht nur das:
Lokal und weltkirchlich – dieses Spannungsproblem ist aber nicht nur in Fragen des Missbrauchs mehr in den Blick zu nehmen, sondern auch bei einer anderen Aktion, die über Deutschland hinaus Schlagzeilen gemacht hat: das ‘self-outing’ von LGBTQI+ MitarbeiterInnen der katholischen Kirche.
Mutig und anerkennenswert ist diese Aktion sicherlich, stehen doch für viele auch arbeitsrechtliche Fragen an. Erstaunlich ist für mich auch die schnell erfolgte positive Reaktion von Verantwortlichen in der Kirche; allerdings frage ich mich auch, warum nicht früher? Ist es der Deckmantel des synodalen Weges und des Aufruhrs und Entsetzens über den Zustand der deutschen Kirche, der Verantwortliche mutig werden lässt? Hat sich Gewissen weitergebildet im Schnellverfahren – oder woher kommt der Mut?
Bei aller Freude über die nun so mutigen Menschen in der Kirche: Solange das Arbeitsrecht und die grundsätzliche Lehre der kirchlichen Sexualmoral nicht geändert, oder besser gesagt: weiterentwickelt wird, bleibt letztendlich jeder Betroffene in Abhängigkeit von der Großzügigkeit von Vorgesetzten. Und dann kommt hier natürlich noch die Weltkirche ins Spiel.
In Südafrika lebend bin ich mir sicher, dass der Großteil der afrikanischen Kirche jeder Veränderung der Sexuallehre offiziell widersprechen wird. Wobei sich das auch ändern könnte, wenn hier auch einmal ehrlich aufgearbeitet werden würde. Davon abgesehen zeigt sich hier, wie wichtig Synodalität und die Wertschätzung von lokaler Kirche ist. Teilkirchen haben verschiedene Wege und Entwicklungsstufen – die orthodoxe Kirche ist da ein Beispiel; es sollte auch in der römisch-katholischen Kirche möglich sein, Teilkirchen mehr Freiheit zu geben, um das Evangelium in ihrem Kulturkreis auszugestalten. Das ist nicht nur eine Frage von Volksfrömmigkeit – in unserem Zeitalter werden wir es auf Dauer nicht schaffen, mit Altertum und Mittelalter die jetzige Lebenszeit und Lebensnotwendigkeiten der Menschen zu bewältigen. Wir schaffen uns selber ab, wenn wir den Kern der frohen Botschaft nicht bewahren, aber Formen entwickeln, die heute verständlich sind und tragen; sowie die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft, den Status der allgemeinen Menschenrechte, die Segnungen von Demokratie nicht versöhnen mit der bedingungslosen Liebe und der jesuanischen Botschaft, die wir so nett sonntags predigen.
Wortlos sein – und trotzdem voller Worte, voller Schreie, voller Wut, voller Ohnmacht, voller ambivalenter Gefühle, von Weglaufen zum trotzigen Bleiben, vom im Scham versinken und trotzdem sonntags auf der Kanzel stehen, vom Aufstehen und gegen den Strom schwimmen und gleichzeitig immer wieder das Gefühl haben, es mag zu spät sein; vom Fremd-schämen zum Hoffnung verbreiten: Es zerreißt einen öfters in unseren Tagen…